Naturerlebnis Graureiher

Auf den Spuren eines Allerweltvogels

März - August 2015

Er ist einer der häufigsten und bekanntesten Schreitvögel an unseren Teichen und Fließgewässern. Der Graureiher - ein Allerweltvogel möchte man meinen. Oft wird ihm deshalb aus fotografischer Sicht nicht das ganz große Interesse geschenkt. Eisvogel, Fischadler, Kranich oder die verschiedenen Arten der Lappentaucher füllen die Foren der Naturfotografen. Und doch war es für mich ein ebenso faszinierendes Naturerlebnis, eine Kolonie Graureiher für eine Fotosaison aus einem schwimmenden Tarnversteck mit der Kamera zu begleiten.

Vom Eintreffen der Altvögel im März an ihren angestammten Brutplätzen über die Aufzucht der Jungen, bis zum Verlassen der Nester im Juni sowie Abzug aus dem Brutgebiet Ende September erhielt ich viele interessante und spannende Einblicke in das Leben der Graureiher. Dabei ist natürlich auch eine ganze Reihe an Fotos von der größten, in Europa beheimateten Reiherart, entstanden.

 

Ardea cinerea - der Graureiher

Mit weitausholenden, rudernden Flügelschlägen nähert sich der Reiher dem Teich, dreht eine elegante Kurve und landet mit vorgestreckten Beinen lautlos am schilfbewachsenen Ufer. In Zeitlupe schreitet er den Uferrand ab, verharrte regungslos mit vorgestrecktem Kopf im seichten Wasser. Der Vogel strahlt Erhabenheit und Ruhe aus, doch der Schein trügt. Blitzschnell stößt der dolchartige Schnabel ins Wasser. Als er den Kopf wieder hebt zappelt ein stattlicher Fisch im Schnabel.

 

Der in ganz Europa weit verbreitete Reiher ist ein exzellenter Jäger. Seine Vorliebe für Fisch wurde ihm jedoch fast zum Verhängnis. Er wurde gnadenlos als "Fischräuber" bejagt, so dass es in den siebziger Jahren in ganz Deutschland nur noch wenige Brutpaare gab. Umfangreiche Schutzmaßnahmen, aber auch veränderte Umweltbedingungen wie Renaturierung von Teichen und Fließgewässern, haben den Bestand der Vögel allein in Sachsen seit 1980 wieder auf 2000 Brutpaare anwachsen lassen. Die Rückkehr der Graureiher stieß jedoch nicht überall auf Gegenliebe. Kontroverse Diskussionen unter Fischern, Jägern und Naturschützern stehen auch heute erneut auf der Tagesordnung. In Sachsen kann die Reiherart wieder bejagt werden, jedoch mit Einschränkungen. So darf die Jagd nur im Umkreis von 200 Metern um bewirtschaftete Fischereianlagen erfolgen und auch die Zahl der Abschüsse ist beschränkt.

 

Graureiher sind je nach Verbreitungsgebiet sowohl Zugvögel, Teilzieher als auch Standvögel. Die in Sachsen lebenden Reiher verbringen den Winter überwiegend in der Region. Ideale Nahrungsbedingungen finden die Vögel das ganze Jahr über im Flachwasser von Seen, Teichen, Feuchtwiesen und Fließgewässern. Frieren die Gewässer in kalten Wintern zu, weichen sie auf Wiesen und Felder aus um Mäuse zu erbeuten. Nur in strengen, langanhaltenden Winterperioden ziehen sie nach Süden und überwintern in den Mittelmeerländern.

Start in die Brutsaison

Graureiher sind sehr standorttreu. Bereits Ende Februar/ Anfang März kehren als erstes die Männchen in ihr Brutgebiet zurück und beginnen mit dem Ausbau der alten Nester. Kurze Zeit später treffen auch die Weibchen am Brutplatz ein.

Ein reges Treiben war nun im Brutgebiet zu beobachten. Unermüdlich flogen die Graureihermännchen ihre Nester mit Nistmaterial im Schnabel an und übergaben Äste und Zweige an das Weibchen. Ich war fasziniert, wie auch sperriges Geäst elegant im Schnabel balanciert und zielsicher dem wartenden Weibchen übergeben wurde. Dieser Vorgang strahlte eine ganz eigene Vertrautheit zwischen den Graureiherpaaren aus, welche gewöhnlich für eine Brutsaison zusammenbleiben.

Normalerweise liegen die Nester der Reiher im Kronenbereich hoher Bäume. Eine Besonderheit der Graureiherkolonie, welche ich seit über 2 Jahren beobachte, sind die dort ausschließlich am Boden vorkommenden Schilfbruten. Aus fototechnischer Sicht war dies für mich ein großer Vorteil, konnte ich doch so das Geschehen rund um die Nester besser verfolgen.

 

Mitte März waren fast alle der vorjährigen Brutplätze mit Graureiherpärchen belegt und die ersten Reiher begannen mit der Brut. Allein von meinem Tarnversteck aus konnte ich 23 besetzte Bester zählen. Ungefähr 28 Tage wurden die aus 4 - 5 Eiern bestehenden Gelege bebrütet. Dabei lösten sich beide Elterntiere regelmäßig ab.

 

Eines der vielen Nester lag ca. 30 Meter gegenüber meinem Tarnversteck im Schilf des Uferbereiches. Im zeitigen Frühjahr war das neue Schilf noch nicht nachgewachsen und ich hatte einen ziemlich guten Blick auf das Nest.

Eine neue Generation

Ende der zweiten Aprilwoche war es dann soweit. Ich hatte mein Tarnversteck wie an jedenm Samstag seit Beginn der Brutsaison am zeitigen Morgen bezogen und mein erster Blick galt dem gegenüberliegendem Nest. In den letzten Wochen sah ich dort immer den Kopf eines brütenden Graureihers aus dem Schilf herausschauen. Doch heute stand einer der Altvögel im Nest und schien sehr beschäftigt. Durch mein Teleobjektiv konnte ich sie dann erkennen - 4 kleine dunkelgraue Nestlinge reckten hungrig ihre Schnäbel aus dem Nest. Viel war von ihnen noch nicht zu sehen, die Nesthocker können erst nach 2 Wochen im Nest stehen. Typisch für das Aussehen der Nestlinge waren die langen grauen Dunen, welche die kleinen Reiher etwas zerzaust erschienen ließen.

Ca. 14 Tage lang huderten die Graureiher ihren Nachwuchs. Abwechselnd flogen sie das Nest mit Nahrung an. Erst gegen Ende der dritten Woche wurden die Jungen von den Altvögeln allein im Nest zurückgelassen. Eine kritische Zeit für den Nachwuchs. Die Sterblichkeitsrate des Reihernachwuchses in der Nestphase ist sehr hoch und wird mit bis zu 70% angegeben. Kälte und nasse Witterungsabschnitte in der Schlupfphase, Nahrungsmangel während der Aufzucht der Jungtiere, Viruserkrankungen und auch Verluste durch Fressfeinde wie etwa Greifvögel, Füchse und Marder sind hierfür die Hauptursachen. Ich war gespannt, wie viele der vier jungen Reiher es in "meinem" Nest schaffen würden.

Zumindest das Nahrungsangebot schien optimal zu sein, Fische gab es zu Hauf im Teich. Bei den Greifvögeln sah es hingegen schon anders aus. Zwei Pärchen Rohrweihen hatten ihre Nester ebenfalls im Schilfgürtel des Teiches. Oft konnte ich Attacken zwischen Graureihern und Rohrweihen in der Brutphase beobachten. Das Nest meiner Reiher blieb jedoch unbehelligt - soweit ich dies beurteilen konnte.

 

Aus strubbeligen Nestlingen wachsen stattliche Jungreiher

In der folgenden Zeit hatten die Altvögel jede Menge zu tun, um ihren Nachwuchs satt zu bekommen. Cirka 400 g Nahrung, bestehend aus Fischen, Mäusen, Reptilien oder Amphibien kann ein Graureiher in seinem Vormagen transportieren. Das bereits vorverdaute Futter wird dabei zunächst direkt in die Schnäbel der Nestlinge erbrochen, später auf den Nestboden hervorgewürgt. Am Anfang "Keckerten" die vier Jungen bei jedem sich dem Nest näherenden Graureiher, doch sie lernten schnell ihre Eltern zu erkennen.

Die kleinen Reiher wuchsen erstaunlich schnell und schon bald wurde aus dem Keckern ein ohrenbetäubendes Kreischen, wenn sich einer der Altvögel mit Nahrung dem Nest näherte. Hektik entstand jedes Mal unter den vier Geschwistern und es ging nicht zimperlich zu wenn es darum ging, den größten Nahrungsbrocken für sich zu erhaschen. Hatte der Altvogel die Nahrung auf den Nestboden "gereihert" flog er umgehend an das Wasser um zu trinken - eine Gewohnheit, welche ich oft beobachten konnte.

Bereits Ende Mai waren aus den vier Nestlingen stattliche Jungvögel geworden, welche nun ihre ersten kurzen Ausflüge aus dem Nest unternahmen. Kreischend und heftig mit den Flügel schlagend verschafften sie sich den nötigen Platz für ihre Flugmanöver. Schon bald hatten alle vier Reiher die nähere Umgebung ihres Brutplatzes erobert und ich sah sie oft im seichten Wasser des Schilfgürtels stehen und aufmerksam ihre Umgebung erkunden. Doch noch kehrten alle Vier regelmäßig in ihr Nest zurück.

In der Graureiherkolonie ging es nun sehr laut und turbulent zu. Soweit ich erkennen konnte waren alle der umliegenden Nester mit jeweils 2 - 5 Jungvögeln besetzt. Der Lärm der krächzenden und kreischenden Jungvögel war oft ohrenbetäubend und wurde nur übertönt vom lauten "Kraik, kraik" der Altvögel.

Abflug in ein neues Leben

Im Laufe des Monat Juni wurden die Ausflüge der Jungreiher immer ausgedehnter. Oft sah ich zu meiner Fotoexkursion nur noch einen oder zwei der Vögel im Nest oder in dessen unmittelbarer Umgebung.

Als ich Ende der dritten Juniwoche frühmorgens mein Tarnversteck bezog fand ich das Nest meiner vier Graureiher endgültig verlassen vor. Wie für einen letzten Abschiedsgruß standen die vier Jungreiher gesund und munter im Flachwasser des Teiches. Aufgeregt kreischend erhob sich einer nach dem anderen in die Luft und flog über den Teich davon.

Meine Freude war groß, alle vier Reiherjungen hatten es geschafft und ihre erste schwierige Phase im Leben gemeistert. Doch auch ein bisschen Wehmut machte sich beim Anblick des leeren Nestes breit. Sie waren mir während der letzten 10 Wochen schon ans Herz gewachsen - die vier Graureiherjungen mit ihren Eltern.

 

Saisonausklang

Ab Juli wurde es merklich stiller am Teich. Ein Großteil der Jungvögel wanderte relativ schnell ab. Durch Beringung von jungen Reihern konnte nachgewieen werden, dass sich die Vögel bis zu 100 Kilometer entfernt vom Geburtsort neue Nahrungsgründe erschließen.

Einige der Altvögel verblieben auch weiterhin am Teich bzw. kehrten jeweils in den frühen Morgenstunden von ihren umliegenden Schlafplätzen an das Gewässer zurück. Ich hatte nun in aller Ruhe die Gelegenheit, sie beim Fischen und bei der Gefiederpflege zu beobachten.

Das Gefieder der Reiher ist schwarz, grau und weiß gefärbt. Auffallend sind der weiße Kopf mit den oft recht lange werdenden schwarzen Schopffedern und die gebänderte Halszeichnung. Graureiher haben nur eine verkümmerte Bürzeldrüsse. Um ihr Gefieder wasserabweisend zu halten besitzen sie sogenannte Puderdunen. Diese ständig nachwachsenden, feinen Federn sind sehr fetthaltig und sitzen im Bereich des Rückens, des Beckenbreiches, auf der Vorderbrust und zwischen den Schenkeln. Mit dem Kopf reibt der Reiher über diese Bereiche und zerreibt dabei die Federn zu Puder, welches so über den gesamten Körper verteilt wird.

 

Ende Oktober hatten auch die letzten Graureiher das Brutgebiet verlassen und gingen in Erwartung der kalten Jahreszeit auf die Suche nach nahrungsreichen Gebieten. Stille zog nun am Teich ein. Das Naturerlebnis Graureiher ging zu Ende - eine spannende Zeit mit dem Allerweltvogel, welcher für mich immer ein ganz besonderer Vogel sein wird.

Die fotografischen Bedingungen

Obwohl Graureiher in Sachsen zu den häufigsten Vogelarten zählen und sie an vielen Gewässern und auf Feldern allgegenwärtig sind, sind sie doch nicht einfach zu fotografieren. Sie besitzen eine hohe Fluchtdistanz. Nähert man sich dem Reiher schon auf einen Abstand von 100 Metern fliegt er laut kreischend auf.

Um die sensiblen Vögel fotografieren zu können benutzte ich deshalb ein schwimmendes Tarnversteck. Da ich bereits im zeitigen Frühjahr mit meinen fotografischen Beobachtungen begann, war eine Neoprenwathose für den mehrstündigen Aufenthalt im Wasser unerlässlich. Das Tarnversteck verblieb von März bis Oktober im Wasser. Die Vögel gewöhnten sich so an die schwimmende Insel, akzeptierten sie uneingeschränkt als Teil ihres Lebensraumes und gewährten mir so einen ganz privaten Einblick in ihr natürliches Verhalten.

 

Nistplatzfotografie ist ein kontrovers diskutiertes Thema im Bereich der Naturfotografie. Mir war von Anfang an klar, dass das Wohl der Tiere immer an erster Stelle stehen musste. Das Einhalten eines entsprechenden Abstandes zum Nest war für mich selbstverständlich. Direkte Nesteinblicke aus nächster Nähe wird man deshalb bei meinen Fotos vergeblich suchen. Zugegeben, im Laufe des Mai versperrte mir oft das nachwachsende Schilf die Sicht auf das unmittelbare Geschehen im Nest und durch das schwimmende Tarnversteck bestand durchaus die Möglichkeit, bis auf wenige Meter an die Nester zu gelangen. Doch kein noch so spektakuläres Foto rechtfertigt es, die Brut der Vögel zu stören oder gar zu gefährden. Während der gesamten Brutphase akzeptierten die Graureiher die Anwesenheit des Tarnversteckes. Ungestört fütterten sie ihre Jungen und widmeten sich ausgiebig der Gefiederpflege. Oft landeten sie sogar in unmittelbarer Nähe zur Tarnung.

Der Tag, an welchem die vier Jungreiher im Juni ihr Nest verließen und in ihr neues Leben starteten war für mich Beweis genug, keinerlei Störung verursacht zu haben.

 

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Mehr Graureiherfotos gibt es unter der Rubrik "Vögel" zu sehen.